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Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, bestimmen, in welcher Welt wir aufwachen, wenn die Corona-Pandemie vorüber ist.

Warum Corona-Apps mehr Schaden als Nutzen anrichten

Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, bestimmen, in welcher Welt wir aufwachen, wenn die Corona-Pandemie vorüber ist.

Ein Gastbeitrag von Matthijs Pontier (Piratenpartij), übersetzt aus dem Niederländischen von @falsel_net
You can find an English version on the site of the PPAG.
Emergenza #Covid19: controlli stradali per il rispetto delle disposizioni contro il coronavirus

Foto: CC BY-NC 2.0 Ministero Difesa

Um die Coronakrise in den Griff zu bekommen, hat das Kabinett alle möglichen Massnahmen ergriffen, die vor einigen Monaten noch undenkbar schienen. Aus Angst vor der Corona akzeptiert die Bevölkerung, dass die Regierung Befugnisse beanspruchen wird, die wir normalerweise ausgiebig debattieren und gut behandeln würden.

Auch nach 9/11 wurden viele Überwachungsmassnahmen eingeführt, die dann nie wieder rückgängig gemacht wurden. Jetzt, da sich alle so sehr auf diese Krise konzentrieren, ist es wichtig, wachsam zu sein, dass nicht unter dem Motto „Verschwende nie eine gute Krise“ Massnahmen ergriffen werden, die den Machthabern mehr Macht geben oder unsere Freiheiten einschränken. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, sich kritisch mit Massnahmen auseinanderzusetzen. Die Pandemie ist ein Sturm, der vorbeizieht. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, bestimmen, in was für einer Welt wir aufwachen, wenn dieser Sturm vorüberzieht.

In einer Demokratie ist es besser, sich auf gute Information als auf Repression zu konzentrieren. Es ist nicht möglich, überall „physischen Abstand“ zu halten und zu überprüfen, ob jeder seine Hände genug wäscht. Die meisten Menschen treffen von sich aus kluge Entscheidungen, wenn erklärt wird, warum Händewaschen und „eineinhalb Meter“ so wichtig sind. Die leeren Strassen bestätigen dies.

Es gibt jedoch auch eine Betonung der technologischen Repression, die im Allgemeinen mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Das nationale Elecronische Patient Dossier (EPD) wird nach wie vor getarnt eingeführt (Sie können sich hier abmelden). Die Kameraüberwachung wird ausgeweitet, obwohl wir wissen, dass dies bestenfalls nur zu einer vorübergehenden, begrenzten Verbesserung des Sicherheitsgefühls führt und Probleme nur verdrängt. Drohnen knurren ahnungslose Wanderer an, dass sie einen Abstand von anderthalb Metern einhalten müssen. Das erinnert an einen schlechten Science-Fiction-Film.

Es besteht die Gefahr, dass wir uns als Gesellschaft daran gewöhnen und es zu einer Funktionserschleichung kommt: Technologie, die zunächst für einen bestimmten Zweck eingesetzt wird, wird später oft für ganz andere Dinge genutzt. Ich habe bereits vorhin vor der Gefahr gewarnt, dass Drohnen in Zukunft eingesetzt werden könnten, um das Demonstrationsrecht einzuschränken oder sogar Menschen zu tasern.

Corona apps

Vor kurzem, kündigte das Kabinett an, dass es zwei Apps einsetzen will: (1) für die „Nahbestimmung“ zu prüfen, ob Sie sich in der Nähe einer infizierten Person aufgehalten haben und (2) anhand der Symptome abzuschätzen, ob Sie eine Corona haben.

Beim Einsatz von Technologie ist es immer wichtig, zunächst zu fragen, welches Problem sie tatsächlich löst. Beide Apps haben das theoretische Potenzial, mehr Erkenntnisse darüber zu liefern, wer infiziert sein könnte. Wenn wir besser wissen, wer infiziert sein könnte, und deshalb zusätzliche Vorsichtsmassnahmen treffen, kann dies theoretisch die Infektionsrate (R0) senken. Wenn dies erfolgreich geschieht, können die derzeitigen restriktiven Massnahmen etwas schneller freigegeben werden.

Das könnten also gute Nachrichten für unsere Freiheit und die Wirtschaft sein. Grund genug also, zu untersuchen, ob diese Apps tatsächlich einen ernsthaften Beitrag dazu leisten können, ohne andere Grundrechte wie die Privatsphäre opfern zu müssen.

Was tun andere Länder? In mehreren Ländern wurden bereits ‚Tracing‘-Apps eingesetzt. Diese wurden oft von Unternehmen entwickelt, die zuvor mit Geheimdiensten Geschäfte gemacht hatten. In Israel und China gibt es eine totalitäre Überwachung, die in den Niederlanden völlig inakzeptabel wäre. Ohne den richtigen „Gesundheitskode“ wird auch der Zugang vielerorts verweigert.

Die App in Südkorea ist auch eine Katastrophe für die Privatsphäre. In Polen und Indien müssen Sie jede Stunde(!) ein Selfie schicken, um zu beweisen, dass Sie zu Hause gut isolieren können. In der EU sollten wir zumindest verlangen, dass die Teilnahme an der App völlig freiwillig ist, so dass es keine Einschränkungen gibt, wenn Sie die App nicht installieren wollen oder können, zum Beispiel weil Sie kein Smartphone besitzen. Dies ist vor allem bei (gefährdeten) älteren Menschen relativ häufig der Fall.

Ob diese Technologie einen ernsthaften Beitrag zur Kontrolle der Corona geleistet hat, lässt sich noch nicht sagen. In Südkorea (und Singapur) scheint die Situation einigermassen unter Kontrolle zu sein, aber aufgrund der kollektivistischen Kultur und der Erfahrungen mit der SARS-Epidemie gelten auch andere kulturelle und soziale Standards in Bezug auf körperliche Distanzierung und das Tragen von Mundmasken. Die Apps scheinen nur eine begrenzte Rolle gespielt zu haben und führen immer noch nicht zur Aufhebung von Freiheitsbeschränkungen. In Österreich ist die Einführung einer App völlig gescheitert. Wegen der Zusammenarbeit mit Google und der mangelnden Transparenz wollte kaum jemand die App installieren.

Was werden die Niederlande verwenden?

Die Speicherung von Standortdaten in einer zentralen Datenbank sollte vermieden werden. Professor A.I. und Privacy Rob van Hoven van Genderen stellen zu Recht fest, dass es lebensbedrohlich ist, wenn die Regierung über eine Corona-App Zugang zu unseren Standortdaten erhält. Selbst wenn behauptet wird, dass die Daten anonymisiert worden sind, würde die Verknüpfung mit anderen Daten es ermöglichen, die Daten auf eine Person zurückzuführen. Eine solche Datenbank wäre eine potenzielle Goldmine. Wer wird sie sichern? Datenlecks der Regierung sind an der Tagesordnung.

Hugo de Jonge lässt vieles unklar. Dies scheint auf einen Mangel an Fachwissen zurückzuführen zu sein. Feike Sijbesma stellt fest, dass die Nutzung von Apps asiatischer Anbieter noch erwogen wird. Hier scheint es hauptsächlich um TraceTogether aus Singapur zu gehen. Hugo de Jonge erwähnt auch Deutschland und Grossbritannien. Hinter den Kulissen arbeitet das europäische Konsortium PEPP-PT an einer App.

TraceTogether arbeitet an der Kontaktverfolgung über Bluetooth. Die App zeichnet Ihre Begegnungen auf, und wenn Sie sich jemandem bis auf zwei Meter nähern, erhalten Sie eine Warnung und können in strikte Hausisolation gehen. Auf iPhones hat es einfach nicht gut funktioniert. Marcel Roorda beschrieb einen ähnlichen Plan in Nieuwsuur. Das Problem dabei ist jedoch, dass diese Daten zentral gespeichert werden. Die Teilnehmer innerhalb von PEPP-PT scheinen auch auf eine zentrale Speicherung angewiesen zu sein. Huib Modderkolk erklärte bereits, dass Deutschland und Grossbritannien wahrscheinlich mit einer zentralen Datenspeicherung arbeiten werden.

Könnte es datenschutzfreundlicher sein?

Eine App wird datenschutzfreundlicher, wenn die Kontaktmomente dezentral gespeichert werden: nur auf beiden Telefonen. Eine Gruppe europäischer Wissenschaftler arbeitet unter dem Namen DP3-T an einem solchen System.

De Waag beschreibt klar, wie dies funktioniert:

Wenn der Besitzer von Telefon A nun positiv befunden wird (und zwar von einem medizinischen Fachmann, und erst dann), registriert die App dies an einer zentralen Stelle, indem sie den ‚Entschlüsselungsschlüssel‘ der App auf A veröffentlicht. Mit diesem Schlüssel kann jeder, der die Anwendung benutzt, überprüfen, ob er mit der Person, die diesen Schlüssel veröffentlicht hat, in Kontakt gestanden hat (dies geschieht automatisch im Hintergrund), und entsprechende Massnahmen ergreifen.

Aber mit dezentraler Speicherung und völliger Freiwilligkeit sind wir noch nicht am Ziel. CCC und Bits of Freedom haben beide eine nette Liste von 10 Anforderungen aufgestellt, die Effizienz, Vorläufigkeit, Transparenz, Open Source, Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit umfassen. Selbst wenn alle diese Anforderungen erfüllt sind, kann die App immer noch auf Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes zählen. Aus Sicherheitsgründen rät die Regierung selbst immer dazu, WiFi und Bluetooth vor der Abreise abzuschalten. Wenn Sie Ihr Bluetooth wegen einer Corona-App immer eingeschaltet haben müssen, ist dies natürlich nicht möglich.

Wird das Kabinett diese Bedingungen erfüllen?

Feike Sijbesma, Hugo de Jonge und Mark Rutte scheinen wenig Vertrauen zu haben, dass viele Menschen die App installieren wollen. Feike Sijbesma erwähnt, dass eine App, an der nur 15% der Bevölkerung teilnehmen, Ihnen nichts nützt. Deshalb halten sie sich die Möglichkeit offen, die App zur Pflicht zu machen. Sie erwähnen auch die Möglichkeit, dass Menschen, genau wie in China, ohne die App keinen Zugang zu „bestimmten Einrichtungen“ haben. Wie wollen sie das kontrollieren und durchsetzen? Etwa 50% der über 75-Jährigen haben kein Smartphone. Würden sie allen, die kein Smartphone haben, ein Geschenk machen wollen? Eine Verpflichtung ist nicht nur völlig inakzeptabel, sondern auch unpraktisch.

Kurz vor Ostern wurde eine Ausschreibung für die App eröffnet, die unmittelbar nach dem Osterwochenende geschlossen wurde. Diese Ausschreibung entsprach nicht den normalen Anforderungen, auch nicht mit einem verkürzten Verfahren. Eine Reihe von wesentlichen inhaltlichen Anforderungen (z.B. Open Source, dezentrale Speicherung) wurden nicht einmal erwähnt. Das schafft wenig Vertrauen.

Lösen Sie damit irgendetwas?

Bits of Freedom stellt unter anderem, dass eine App niemals eingeführt werden sollte, wenn nicht bewiesen ist, dass sie funktioniert. Etwas, das noch nicht der Fall ist. Aber könnte so etwas funktionieren?

Dazu besteht keine Chance. Wenn Sie im Umkreis von zwei Metern waren, aber diese Person nicht mit Ihnen gesprochen hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie infiziert werden, sehr gering. Vor allem, wenn dazwischen ein Fenster oder eine Wand war. Es wird also viele Falsch Positive, i.e. Fehlalarme geben: Menschen, die eine falsche Warnung erhalten.

Andererseits erkennt die App es nicht, wenn Sie einen Türgriff berühren, der eine Minute zuvor von einem Coronapatienten berührt wurde. Selbst mit einer App können Sie nicht alle Infektionen verhindern. Für eine gute Kontaktverfolgung braucht man immer noch Leute; keine Apps.

Umso wichtiger ist die Frage, was mit allen Warnungen geschehen soll. Die Testkapazität ist begrenzt. Selbst nach der Erhöhung beträgt die Kapazität nur 40.000 pro Tag. Das bedeutet, dass es immer noch fast einen Monat dauert, das gesamte Gesundheitspersonal zu testen. Ganz zu schweigen von den Menschen, die als potenziell infiziert durch Proximity Tracing bezeichnet werden.

Wie viele Menschen werden in strikte Hausisolation gehen oder die App überhaupt nutzen wollen, wenn die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich infiziert zu werden, so gering ist, dass sie sich nicht einmal im Falle einer Warnung testen lassen können? Die ‚OLVG-App‘, in der Sie Ihre Symptome eingeben, um zu sehen, ob Sie möglicherweise eine Corona haben, bietet ebenfalls eine begrenzte Lösung. In Island, wo viele Menschen getestet wurden, stellte sich heraus, dass die Hälfte der positiv getesteten Personen überhaupt keine Symptome hatte. Diese Personen werden daher von der App ohnehin nicht erkannt. Mehr als 60 Wissenschaftler weisen zu Recht darauf hin, dass eine App mit einer so begrenzten Zuverlässigkeit gerade eben zu zusätzlichen Infektionen führen kann.

Um die Corona zu kontrollieren, ist es wichtig, massiv zu testen, um zu überprüfen, wer infiziert ist, diese Personen vorübergehend zu isolieren und gefährdete Personen gut zu schützen. Aufgrund der geringen Zuverlässigkeit der angekündigten Apps werden viele unnötig ängstlich werden, während sie anderen ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln. Lassen Sie uns nicht die Grundrechte für diese Scheinlösung opfern!